Bericht zum Vortrag „The Load – Letting Go of History“ von Stephen Sarrazin

Sophia Müller, B.A., AG Kulturmanagement (KuMa) (Nippon Connection 2015 (3.6.2015))


In seinem 60-minütigen Vortrag mit dem Titel “The Load – Letting Go of History” stellte Stephen Sarrazin, Professor der Université Paris 8 für Film und Videokunst, Vergangenheit und Gegenwart der japanischen Filmszene vor, wobei er der Frage nachging, inwiefern japanisches Kino dazu in der Lage ist, Vergangenheitsbewältigung zu leisten. Der gebürtige Kanadier hat bereits selbst mehrere Jahre in Tōkyō als Berater für Filmexport gearbeitet und bezeichnet sich selbst als „specialist of Japanese cinema“, zumal er sich seit den 80er Jahren mit japanischem Film beschäftigt und einige Regisseure persönlich kennen gelernt hat.

Zu Beginn seines Vortrags, den er selbst als „chat“ bezeichnete, wies Sarrazin darauf hin, dass es in vielen japanischen Filmen um das Loslassen oder gar das Verdrängen von Vergangenem gehe. Dabei handele es sich beispielsweise um Situationen, in denen man den Tod eines geliebten Menschen überwinden, oder mit einem schwierigen Schicksal fertig werden muss. Dabei betonte Sarrazin, dass er aus französischer Sicht spreche und dem Umgang mit der realen Vergangenheit im japanischen Film sehr kritisch gegenüberstehe. Er sieht einen Bruch nach der Ära des Nachkriegsfilms, als Regisseure wie Takeshi Kitano, Somai Shinji oder Itami Jūzō in Erscheinung traten. Zu jener Zeit begannen französische Firmen wie in kaum einem anderem Land in großer Zahl Filme aus Japan zu importieren, weshalb auch heute noch die Beziehungen zwischen der französischen und der japanischen Filmszene sehr eng seien. Derzeit führe man in Frankreich auch Kooperationen zwischen japanischen Filmemachern und französischen Produzenten durch.

Neben den auch außerhalb Japans bekannten Filmemachern wie Kurosawa Kiyoshi, Aoyama Shinji oder Shinozaki Makoto habe es jedoch auch einige „Außenseiter“ gegeben, die von ihren erfolgreicheren Kollegen missachtet oder gar gehasst wurden und eine Art „Subkultur“ darstellten; so etwa Suwa Nobuhiro oder Iwai Shinji. Ihre Filme wurden nicht nach Frankreich exportiert, stattdessen sind es laut Sarrazin in den letzten Jahrzehnten immer dieselben Filmemacher, deren Filme in Frankreich dem breiten Publikum gezeigt werden.
In Bezug auf das gegenwärtige japanische Kino bemerkt Sarrazin, dass seit Anfang der 2000er im Gegensatz zu den 80ern und 90ern keine vorherrschenden Themen identifizierbar seien, was er auf einen Wandel in der Produktionsszene zurückführt. Denn durch das zunehmende Zurückgreifen auf bereits existierende Stoffe sowie die Besetzung durch tarento (Starlets) werde die Rolle des Regisseurs immer unbedeutender, weshalb auch kritische und experimentelle Filme seltener würden. Laut Sarrazin war Japan seit den 70ern „nicht mehr politisch“, und es blieben nur einige wenige herausragende Beispiele wie Imamura Shōheis „Insect Woman“ (jap. Nippon Konchūki) aus dem Jahr 1963. Eine Ausnahme, so Sarrazin, stelle möglicherweise Sono Shions Film „The Land of Hope“ (jap. Kibō no kuni) dar, der sich mit der Erdbebenkatastrophe vom 11. März 2011 auseinandersetzt, jedoch vor allem durch ausländische Gelder finanziert wurde.

Zum Ende seines Vortrags stellte Sarrazin die Frage in den Raum, inwieweit in Japan überhaupt noch ein „cinéma engagé“ möglich sei, und ob, angesichts des von der Abe-Regierung verfolgten politischen Kurses der letzten Jahre, schon bald wieder mit der vorherrschenden Tendenz zur Passivität gebrochen werden könnte. Sarrazin zeigte sich in dieser Hinsicht pessimistisch, da bisher noch keinerlei Anzeichen eines neuen, engagierten Films zu vernehmen sind und er halte es für unwahrscheinlich, dass dies in naher Zukunft eintreten werde. Wenn auch nicht im japanischen Film, so erzählte Sarrazin zum Abschluss seines Vortrags, sei zumindest in der japanischen Architektur- und Designszene in den letzten Jahren eine enorme Zunahme an Kreativität zu beobachten und darüber hinaus gebe es immer mehr Künstler, die sich des Mediums Film bedienten und damit eine über das Kino und die Filmszene hinausgehende Betrachtungsart ermöglichen.

Link: http://www.nipponconnection.com/programm-detail/the-load-letting-go-of-history.html


„Japanische Lyrik als japanologisches Thema“: Interview mit dem Literaturwissenschaftler und Lyrikspezialisten Eduard Klopfenstein


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Sprecher
Malwa Grosse, Christian Chappelow, Eduard Klopfenstein

Autoren
Leuchtfisch

Podcast
Japanologie Frankfurt / KUMA Kulturfeatures

Link: http://www.japanologie.uni-frankfurt.de/__Dateien/Veranst_ankuend_/Lyrik-als-Denkform.html

Beschreibung
Japanische Lyrik ist ein ebenso spannendes wie noch kaum entdecktes Feld japanologisch-literaturwissenschaftlicher Forschung. Mit der Veranstaltung „Lyrik als Denkform – Moderne Japanische Dichtung“ hatten die Frankfurter Japanologen Gelegenheit, in einem Forschungs- und Übersetzungsseminar mit dem Lyrikspezialisten Prof. Dr. Eduard Klopfenstein (Universität Zürich) zu arbeiten und dabei Originaltexte zu übersetzen sowie auch verschiedene Übersetzungen im Vergleich zu diskutieren. Eduard Klopfenstein spricht im Interview mit der Gruppe Leuchtfisch über seine engagierten Studien zur japanischen Lyrik und gibt zudem Hinweise zur japanologischen Beschäftigung mit Lyrik.


Thema: „Literatur nach ‘Fukushima’“: Interview mit der Literaturwissenschaftlerin Saeko Kimura


(Cover: Shinsaigo bungakuron)

Sprecher
Sophia Müller, Malwa Grosse, Kimura Saeko

Autoren
Leuchtfisch

Podcast
Japanologie Frankfurt / KUMA Kulturfeatures

Link
http://www.japanologie.uni-frankfurt.de/__Dateien/Veranst_ankuend_/Vortrag_Prof_S_Kimura.html

Beschreibung
Nach der Dreifachkatastrophe von Fukushima entstanden zahlreiche literarische Texte, die im Kulturjournalismus mit dem Begriff „Erdbebenkatastrophen-Literatur“ bezeichnet werden. Von ihr erwartet man nichts weniger, als dass sie die Zäsur 3/11 abbilden und dem Leser einen Horizont der Hoffnung eröffnen soll. Literaturwissenschaftliche Arbeiten beschäftigen sich bereits mit einem möglichen Kanon der Post-Fukushima-Literatur, zu den ersten Verfassern von übergreifenden Analysen gehört Kimura Saeko, Professorin der Tsuda Universität in Tokyo. Wir hatten Gelegenheit die Autorin der japanischen Publikation Shinsaigo bungakuron. Atarashii Nihon bungaku no tame ni (Diskussion einer Post-Erdbebenkatastrophen-Literatur. Für eine neue japanischen Literatur, 2013) interviewen.